Als ich mein erstes Patent geschrieben habe, war ich Diplomandin. Mir hat damals ein weibliches Vorbild einer erfolgreichen Erfinderin gefehlt. Marie Curie war eher als Wissenschaftlerin als Erfinderin bekannt und so war Doc Brown aus Zurück in die Zukunft mein Idol.

Mehrere Jahre später, als ich meine weiteren Ideen patentieren ließ, hat mir die damalige Patentanwältin einen wunderschönen Blogbeitrag geschickt mit den Worten: „Hi Kat, I saw this article and thought of all our applications with you as an inventor!“. Ich habe mich so gefreut, dass sie mein Erfinderinnenpotential gesehen hat.

Der Beitrag heißt: „Women inventors, long overlooked, are churning out more patents than ever“ https://edition.cnn.com/2019/03/26/health/woman-inventors-patents-gender-disparity-trnd/index.html

Zwei Punkte sind mir sofort ins Auge gefallen:

  1. Patente sind Männersache.
  2. Der Beiname „Lady Edison“ der Erfinderin Beulah Louise Henry

Was für ein schöner Beiname!

Ich habe die Patenanwältin Dr. Renate Weisse interviewt, um mehr über die Patentsituation der Frauen in Deutschland zu erfahren und werdende Erfinderinnen zu unterstützen. 

Statistik und Fakten über die Geschlechterverteilung der Patentanmelder*innen

Frau Weisse, ist es tatsächlich wahr, dass auch in Deutschland Patente überwiegend von Männern geschrieben werden?

Das ist richtig. Ich beobachte den Frauenanteil bei Erfinder*innen schon seit längerem und habe meine eigenen Untersuchungen angestellt. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat Ende 2018 ebenfalls Ergebnisse vorgestellt: weniger als 6% der in deutschen Patentanmeldungen genannten Erfinder*innen sind Frauen. Wenn man davon ausgeht, dass die technische Kreativität etwa gleichverteilt ist, dann bedeutet dies in der Praxis, dass Erfindungen von Frauen weniger erkannt, geschützt und verwirklicht werden. Wir leben in einer von Männern erfundenen Umwelt, die die Bedürfnisse von Frauen wenig berücksichtigt.

Weniger als 6% der in deutschen Patentanmeldungen genannten Erfinder*innen sind Frauen.

Die Zahlen im Ausland

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

Ich habe hier keine konkreten Zahlen. Ich weiß aber, dass der Präsident des USPTO, des Patentamts in den USA, das Problem kennt und sich hier engagieren will. In Deutschland ist das Thema besonders prägnant, da Erfindungen ein wichtiger Teil des wirtschaftlichen Erfolges eines rohstoffarmen Landes sind.

In den Bundesländern Bayern und Badem-Württemberg, wo besonders viele Erfindungen gemacht werden, liegt der Frauenanteil bei weniger als 4 %.

Was sagt man in Chefetagen dazu?

Sind diese Zahlen in den Chefetagen bekannt? Wie gehen Entwicklungsleiter oder CEOs damit um?

Nein, diese Zahlen sind allgemein nicht bekannt. Wenn ich mit den „Chefs“ spreche, dann wird dort immer noch die Meinung vertreten, dass Frauen sich mehr anstrengen sollen, dass „die Frauen“ keine technischen Berufe ergreifen wollen, weil sie daran kein Interesse haben und überhaupt, das Ganze ein Problem nur der Frauen ist. Ich habe persönliche Erfahrungen als Doktorandin in einer ausschließlich mit Männern besetzten Entwicklungsabteilung gemacht und bin sicher, dass mehr Frauen Interesse an MINT-Fächern haben und ggf. erfinden, als sich in den Erfindungszahlen wiederspiegelt.

Der Frauenanteil in MINT Berufen ist nicht entscheidend

Frauen und Männer denken zwar unterschiedlich, aber kreativ sind wir alle. An Mangel an Kreativität oder Innovationsgeist kann das nicht liegen. Hat es etwas mit dem kleinen Frauenanteil in MINT Berufen zu tun?

Patente werden nur für Erfindungen in technischen Gebieten erteilt. Weniger Frauen in MINT-Bereichen führen naturgemäß auch zu geringeren Frauenanteilen bei den Erfindernennungen. Das erklärt die Zahlen aber nur zum Teil. Denn auch in den Bereichen Chemie, Biologie, Pharmazie und Umwelttechnik werden Erfindungen gemacht und dort sind die Frauenanteile deutlich höher als 6 %. Es gibt zahlreiche andere Gründe, warum Frauen unterdurchschnittlich in Erfindernennungen auftauchen.

Das richtige Mindset ist entscheidend

Ich wurde bei einem Patent übergangen und mir hat der Mut gefehlt das anzusprechen. Heute habe ich ein viel stärkeres Selbstbewusstsein. Dennoch habe ich mich dabei ertappt, dass ich meine Publikationen und Patente nicht unter meinen Auszeichnungen in meinem LinkedIn Profil gelistet habe. Welche Rolle spielt das Mindset und welche Denkfehler machen Frauen?

Das ist ein typisches Beispiel. Eine Frau, die eine Erfindung macht oder an einer Erfindung beteiligt ist, erkennt dies möglicherweise gar nicht. Wenn jemand anderes dann eine Erfindungsmeldung bei seinem Arbeitgeber einreicht, braucht es einiges an Selbstbewusstsein um sich hinzustellen und zu sagen „Ich bin eine Erfinderin“ und ggf. sogar Kolleg*innen oder Vorgesetzte zu konfrontieren. Erfinder*innen werden häufig zu sehr glorifiziert. Das schreckt Frauen ab. Es gibt aber auch andere Gründe: Frauen haben häufiger alle möglichen Ängste und fragen sich, ob sie eine Erlaubnis brauche, ob sie jemandem auf die Füße treten oder ob die Erfindung dem Unternehmen nützt. Auch unterschätzen Frauen häufiger ihre eigene geistige Leistung. Das kann dazu führen, dass den Unternehmen wichtige Assets verloren gehen, weil Frauen – vereinfacht ausgedrückt – den Unternehmen ihre Erfindungen vorenthalten.

Liebe Frauen, listet eure Patente auf LinkedIn. Nach diesem Interview habe ich meine unter Publikationen und Veröffentlichungen aufgelistet.

Wir brauchen mehr Role Models

Wir verschwenden Innovationspotential, wenn wir Frauen nicht besser fördern. Haben Sie 3 Praxis-Tipps für Frauen, die ihnen helfen zu patentieren?

Grundsätzlich halte ich nichts davon, Frauen zu „fördern“, weil ich der Ansicht bin, dass Frauen nicht defizitär sind, sondern die Strukturen. Was auf jeden Fall hilft ist Aufklärung, Role Models und die Schaffung von nicht-toxischen Strukturen, in denen Frauen ihre Ideen und Vorstellungen frei äußern können, ohne dass jemand sie zum Spinner erklärt.

Drei konkrete Tipps an Erfinder*innen

  • Informiert euch darüber, was Erfindungen sind: Frauen, die sich mit dem Thema beschäftigen, fällt es leichter, tatsächlich Erfindungen zu erkennen. Ich habe ein Buch „Erfindungen Patente Lizenzen“ geschrieben, das bei Springer erschienen ist und in dem ich in einfachen Worten erläutere, was es mit Patenten auf sich hat.
  • Reicht eine Erfindungsmeldung ein: Auch eine Erfindungsmeldung an das Arbeitgeberunternehmen (Rechts- oder Patentabteilung) einfach mal einreichen und ausprobieren, was passiert – selbst, wenn die Erfindung nicht besonders originell ist und nicht in Anspruch genommen wird. Dabei muss man den Kollegen und Vorgesetzten nicht unbedingt Bescheid sagen. Wer der Meinung ist, er/sie sei Miterfinder, dem/der steht es ja frei, auch eine Erfindungsmeldung einzureichen, in der drinsteht, was er oder sie erfunden hat. Es gibt einen ungemeinen Lernprozess.
  • Auch kleine Verbesserungen sind patentierbar: Und als dritten Tipp würde ich vorschlagen, sich mal im Internet, beispielsweise bei Depatisnet des Deutschen Patent- und Markenamts Patentanmeldungen anzuschauen. Da lernt man, dass die Erfindungen häufig nur kleine Verbesserungen und pfiffige Ideen sind, die aber wirtschaftlich enorm wichtig werden können.

Ein Workshop, der Frauen aufs Patentieren vorbereitet

Sie haben ein Programm, das Frauen fördern soll. Können Sie das in ein paar Sätzen vorstellen? Wie können Frauen das Programm buchen (gerne mit Link)?

Ich habe für größere Unternehmen und Institutionen einen Workshop entwickelt, der sich an Frauen richtet, die glauben, dass sie noch nie etwas erfunden haben. In dem Workshop schauen wir uns genau an, woran man eine Erfindung erkennt und was dann zu tun ist. Außerdem schauen wir uns an, wie man mit bestimmten Situationen umgeht, etwa, wenn jemand die Erfindung für Spinnerei hält oder wenn der Chef meint, dass er „mit aufs Patent muss“. Ich habe in dem Workshop meine langjährige Erfahrung als Erfinderin und als Patentanwältin eingebracht und hoffe, dass ich damit mehr Frauen dazu bringen kann, ihre Erfindungen schützen zu lassen.

Vielen Dank für das motivierende Interview und viel Spaß bei Ihrem Workshop!


Dr. Renate Weisse

Dr. Renate Weisse ist Physikerin und Patentanwältin mit eigener Kanzlei in Berlin. Sie vertritt in dritter Generation nationale und internationale Mandant*innen vor Patent- und Markenämtern und Gerichten in allen Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes.

Neben der Anmeldung und Vertretung von Patenten ist sie auch in Marken- und Designangelegenheiten tätig und betreut eine große Vielfalt von Start-Ups und mittelständischen Unternehmen bei der Frage, ob und wann Schutzrechte angemeldet werden sollten.

Sie hält als Dozentin an der Beuth Hochschule für Technik Vorlesungen über gewerblichen Rechtsschutz, informiert zum Girls-Day junge Mädchen über den Beruf der Patentanwältin und hält regelmäßig Vorträge in Hochschulen, Betrieben und Forschungsinstituten.

Als Expertin im Rechtsausschuss des Bundestages hat sie das Gesetzgebungsverfahren zur Modernisierung des Patentrechts begleitet.

Sie lebt in Potsdam und hat drei Kinder.


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